Herta Müller. Gedichtbilder. LUMAS Berlin zeigt bis zum 26. Oktober zwanzig ausgewählte Wortkunstcollagen der Literaturnobelpreisträgerin - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kunst + Kultur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 14.09.2014


Herta Müller. Gedichtbilder. LUMAS Berlin zeigt bis zum 26. Oktober zwanzig ausgewählte Wortkunstcollagen der Literaturnobelpreisträgerin
Dorothee Kröger

Collagen wie das Leben: "So viel drauf, aber am Rand ist es zu Ende". Aus Bauhaus- oder Biomarktprospekten schneidet die Schriftstellerin die Wörter für ihre postkartengroßen Montage-Geschichten aus




Die "Qual der Wahl" hatte nicht nur die Mitbegründerin der LUMAS Berlin Stefanie Harig bei der Auswahl von 20 Collagen Herta Müllers für die Ausstellung "Gedichtbilder". Die Literaturnobelpreisträgerin selbst trifft bei jeder Collagenanfertigung eine Vielzahl von Entscheidungen, von denen sie auf der Pressekonferenz am 11. September 2014 berichtet.
"Jedes Wort ist wichtig", betont sie. Aus diesem Grund bedarf es einer dezidierten Entscheidung, welches Wort aus ihrer Sammlung, die nach eigenen Angaben aus einhunderttausend Wörtern besteht, einen Platz im begrenzten Raum einer Karteikarte findet.

"kam ein Wind So/
FRISCH WIE milch/
SO ALT WiE Lehm,/
wurde anschmiegsam und/
SAH mich von innen an

(Collage "Kam ein Wind")

"Ein Wort kann alles zugrunde richten" - Herta Müllers Begegnung von Kunst und Literatur

Herta Müllers Collagen führen gesammelte Wörter durch Humor und Reim zu virtuosen Komposita zusammen. Die kurzen Texte erzeugen häufig ein skurriles, der Bauart der Collagen entsprechendes Montagebild im Kopf. "Worte sind sie selbst und werden nur zu etwas anderem im Zusammenhang", beschreibt die Schriftstellerin, nach ihrer Faszination für das einzelne Wort gefragt. Ihre Sprachbilder vereinen auf kleinstem Raum weit ausladendes Bildmaterial, das zufällig und bestimmt zugleich, mal schwermütig und melancholisch, dann wieder mit Leichtigkeit und Ironie, Begegnungen, Aussagen und Überlegungen komprimiert.

Ihre Wörter entnimmt sie unter anderem den Katalogen und Zeitschriften von Verlagsprogrammen, Bauhauskatalogen und Bioladenprospekten mit ihrer "freundlichen, naturnahen Schrift". Auf allen Collagekarten ist zudem ein Bild zu sehen, das sich dem Text thematisch nähert.

"Mein Vaterland war/ ein Apfelkern man/ irrte umher zwischen/ Sichel und Stern" (Collage "Ein Apfelkern") - Reimen als Strategie

Bei ihrer Begeisterung für Wortmontage geht es der in Rumänien aufgewachsenen Herta Müller nicht darum, ihr durch diese Ausdrucksform eine Bezeichnung, etwa als bildende Künstlerin oder Bildautorin, zu geben. Vielmehr weist sie darauf hin: "Was das ist, weiß ich nicht". Das zentrale Element ihrer Wortkunst, der Reim, begleitet sie bereits als "unaufhaltsame Maschine" durch die Zeit der Diktatur Ceaucescus. Als Strategie gegen das Gefühl der Ausweglosigkeit und Hilflosigkeit, aber auch vor einem Verhör nutzte sie den Reim, um sich Mut zu machen. Mit FreundInnen formulierte sie die Reden des Diktators reimend um. Der Reim, den sie bisher nur aus langweiligen Schulbüchern kannte, wurde zum Schild gegen die furchtbaren Parteigedichte.

In den 1990er Jahren hielten die Reime Einzug in die ersten Collagen, die sie zu dieser Zeit erstellte. Es waren Postkarten, die sie selbst gestaltete und verschickte. Dem Format ist sie bis heute treu geblieben. Die Wörter, die Herta Müller auswählt und –schneidet, müssen klar und einfach sein. Sie selbst sieht diesen Geschmack inspiriert durch die deutsche Schriftstellerin Inge Müller und den österreichischen Lyriker Theodor Kramer.

"Das feurige Gespür für/ Unbewohntes und/ es ist nicht von hier" (aus der Collage "Gelbrockmuster") - Gebaute Parallelen zum eigenen Leben

Nicht nur die Entstehung ihrer Wortkunst sieht die Schriftstellerin, die für ihren Roman "Atemschaukel" 2009 den Literaturnobelpreis erhielt, mit dem eigenen Leben verbunden. Auch die Collagen selbst weisen ihrer Ansicht nach strukturell Parallelen auf. Wie im Leben sei auf den Karten: "So viel drauf, aber am Rand ist es zu Ende". Die Gestaltung habe daher etwas sehr Sinnliches für sie. Denn was einmal festgeklebt sei, könne nicht mehr geändert werden.

Meistens fingen die Bilder im Kopf an, erklärt die 61-Jährige, gefragt nach der Herangehensweise. Um dieses Bild auf einer Karte zu visualisieren, suche sie in ihren "Wortschränken", in dem die seit Jahren gesammelten Worte gelagert sind, nach den passenden Begriffen. Während der Suche ergebe sich eine Spontaneität, da ihr auch andere Wörter "über den Weg" liefen, die passender seien. Zudem spiele der Reim, der die Texte strukturiert, ebenso eine Rolle bei der Gestaltung der Montagen."Es wird ja gebaut", sagt sie, und die Bauweise ihrer Wortmontagen betrachtet sie selbst zunehmend unter ästhetischem Aspekt. Die Graphik und die Hintergrundfarbe einzelner Wörter sei ihr in den 1990ern nicht so wichtig gewesen wie heute. Es komme ihr mittlerweile stärker darauf an, dass das Gesamtbild einer Collage nicht nur inhaltlich jedes Wort berechtige, sondern auch ästhetisch. So durchlaufe ein Werk Phasen der "Anläufe, Versuche und Umwege" bis es zu seiner Endgültigkeit gelange.

Sie trägt das Herz als Kopf/ in die grau gewebte Nacht (aus der Collage "Eine apfelrote Tasche") - Selbstreflexion

Eine fertig gestellte Arbeit böte der Schriftstellerin zudem retrospektiv die Möglichkeit, sich über vieles bewusst zu werden. Beispielsweise fände sie, dass ihre Wörter insgesamt häufig verschiedene Gelbtöne aufweisen. Oskar Pastoir, dessen Geschichte sie in "Atemschaukel" aufnimmt, habe ihr vor seinem Tod gesagt: "Wenn ich sterbe wird alles orange". Herta Müller, beschreibt mit einem intensiven Blick in die Runde, dass ihr daraufhin alles, sowohl die Bäume als auch die Häuser, gelb erschien. Als habe er tatsächlich diesen furchtbaren Einfluss, der sich nun in den Collagen wiederspiegelt. Die Farbe rot hingegen tauche selten auf, da sie diese nach wie vor "noch sehr parteiisch" assoziiere.

Ob sie persönlich mit Oskar Pastoirs Geschichte im Reinen sei. Diese Frage wurde letztendlich auch gestellt. Es ist ihr anzusehen, dass sie dieses Thema erschöpft, dass sie nicht von neuem darüber sprechen möchte. Der enge Freund der Künstlerin, dessen Schilderungen den Grundstoff ihres Literaturnobelpreisbuches legten, arbeitete fünf Jahre in einem Arbeitslager und wurde nach seiner Rückkehr aufgrund von sieben Gedichten durch den rumänischen Geheimdienst Securitate der "antisowjetischen Hetze" (Müller) bezichtigt. Ihn verband eine enge Freundschaft mit Herta Müller, die zuletzt in den Medien stand, weil seine Arbeit für Securitate enthüllt wurde. Müller bestätigt noch einmal, auf der Seite ihres Freund zu stehen, indem sie eine seiner Aufzeichnungen zitiert: "unschuldig schuldig geworden."

Ihre Antwort auf die zugespitzte Frage "Haben Sie es als Literaturnobelpreisträgerin nötig, Ihre Literatur zu Plakaten zu machen?" portraitiert eine bescheidene Schriftstellerin: Die mitklingende Überheblichkeit lehnt sie entschieden ab. Auch den Collagen schreibt sie einen bedeutenden "Nachklang" zu, wie er sonst nur in Verbindung mit ihrer Literatur gebracht wird. Während des Pressegesprächs ist Herta Müller aufmerksam und blickt den Fragenstellenden direkt in die Augen. Ihre Antworten sind überlegt und erweisen sich nicht als Reproduktionen von bereits Gesagtem.

Herta Müller und LUMAS

Die Editionsgalerie LUMAS, die 2004 die erste Dependance am Hackeschen Markt in Berlin eröffnete und mittlerweile mit 30 Galerien weltweit vertreten ist, nimmt sich zum Ziel "den Kunstmarkt auf den Kopf zu stellen". Das Konzept besteht darin, zeitgenössische Kunst in limitierten Auflagen, meist 75-150 Stück, zu vergleichsweise erschwinglichen Preisen zu verkaufen. Die handsignierten Originalarbeiten von KünstlerInnen wie Jane Bown oder Joseph Beuys sind in nach dem Einrichtungskonzept "The Collector´s Home" gestalteten Galerien ausgestellt und zu erwerben. Hier wird empfohlen: Wenn Sie sich in ein Bild verliebt haben, warten Sie nicht allzu lange. Je früher Sie ein Werk erwerben, desto günstiger erhalten Sie es."

Verliebt hat sich auch die Initiatorin Stefanie Harig in die Collagen Herta Müllers, mit der sie daraufhin im Jahr 2013 in Kontakt trat und die Idee äußerte, die Collagen der Schriftstellerin "aus Büchern zu befreien und an die Wand zu bringen". Es kam zu einer Zusammenarbeit, durch welche dem Publikum nun ausgewählte Collagen präsentiert und zum Verkauf angeboten werden. Die Werke sind von den Originalen abfotografiert, in zwei verschiedenen Größen abgezogen und gerahmt, handsigniert je in hundertfacher Auflage in einer Preisspanne von 90 – 1399 Euro zu erwerben.

Über die Schriftstellerin Herta Müller:

1953 in Rumänien geboren, verließ Herta Müller 1987 ihre Heimat nach einem Publikationsverbot und Repressionen durch den rumänischen Geheimdienst Securitate. Seither lebt die sie in Berlin. Die Erfahrungen in einem totalitären System prägen bis heute ihr Schreiben. Internationale Anerkennung erlangte Müller 2009, als sie mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde.
Herta Müller im Netz:
www.hertamueller.de

Aktuelles über Herta Müller:

SPIEGEL ONLINE, Literaturnobelpreisträgerin: Berliner Senat diskutiert über Ehrenbürgerinnenwürde für Herta Müller

Herta Müller
"Gedichtbilder"
Ausstellungsdauer:
12. September bis 26. Oktober 2014
Veranstalter: Editionsgalerie LUMAS Berlin
Veranstaltungsort: LUMAS Berlin, Rosenthaler Straße 40/41, 10178 Berlin
Öffnungszeiten: Montag bis Samstag 11-20 Uhr. Sonntag 13-19 Uhr

www.lumas.de


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(Quelle: Editionsgalerie LUMAS Berlin)

Copyright Foto: Dorothee Kröger


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AVIVA-Redaktion